Der Goldfisch hatte Recht

Vielleicht hatte der Goldfisch doch Recht, als er sich entschloss, noch eine Bahn zu schwimmen.

Welcher Goldfisch?, fragst du dich jetzt, und um welche Frage geht es überhaupt? Lass mich erklären: Die kurze Version der Frage findest du in der Performance von Sisyphos dem Flugelefanten. Und der Goldfisch, ja, der ist so eine Sache.

Würde ich diesen Text akademisch schreiben, wäre sein Name wahrscheinlich Lacan. Aber den hat kaum jemand wirklich verstanden, also lassen wir das.
Der Goldfisch, also. Stell ihn dir als Klang vor, als eine Melodie, ein leichtes, fröhliches Spiel, das deine Muskeln anzupft, das dich bewegen will und ja, es fühlt sich gut an, sich so zu bewegen; unverkrampft und frei, der Boden warm und vertraut unter deinen Füßen und kein Gedanke, der dich bremsen könnte.

Atme durch. Genieß die Luft, den  süßen Sauerstoff. Du schließt die Augen, um dich der Melodie noch einmal zu öffnen.
Welche Melodie?
Du versuchst dich zu erinnern, doch etwas klingt falsch, in deinen Ohren. Etwas stimmt nicht, trifft nicht den richtigen Ton. Und deine Muskeln sind ein Krampf und der Boden hart und steinig und du weißt nicht mehr wohin.

Siehst du den Goldfisch in seinem Glas? Wie er seine Bahnen zieht, seinem eigenem Schwanz hinterher, auf der Suche nach etwas, das er nicht mehr genau erkennen, an das er sich nicht mehr richtig erinnern kann?

Sisyphos der Flugelefant ergibt auf einmal so viel Sinn. Das ständige Steinerollen, das ewige Suchen nach etwas, das nur noch als Gefühl, vielleicht als Hoffnung existiert, macht den eigentlichen Titel des Stücks beinahe überflüssig. Zusammen mit der Erinnerung an diesen gutgelaunten, fliegenden Elefanten aus Kindheitstagen beschreibt der Gruppenname sowohl Thema, wie auch die Art des Spiels.  Dabei trifft er einen Nerv, der auch bei anderen Stücken des Festivals durchschimmert.

Beispielsweise das Skype Duet:  Auch hier steht das Suchmotiv im Vordergrund, wenn Brina im Webgetümmel nach Freunden, Vertrautem, dem lange ersehnten Anruf ihrer New Yorker Freundin sucht. Ironischerweise passt da sogar die abgebrochene Performance ins Bild – das Wiedererleben einer vorigen, subjektiv oder konzeptionell als “perfekt” empfundenen Aufführung ist eben auch nichts anderes als die wiederholte Suche nach den eigenen Spuren. Doch Spuren verblassen und Erinnerungen können lügen.

Warum würden wir sonst die oftmals fast identischen Abläufe des Alltags tolerieren? Oder uns immer wieder aufs Neue Beziehungspartner suchen, die unseren vorigen ähnlicher sind, als wir es uns vielleicht zugestehen wollen? Oder dieselben Fehler wiederholen, obwohl wir es eigentlich besser wissen müssten?
Wir laufen nunmal gerne im Kreis. Vielleicht haben unsere eigenen Spuren ja etwas Beruhigendes. Und wenn es nur die Erinnerung an eine Melodie ist, auch wenn wir keine Ahnung mehr haben, wie sie eigentlich ging.
Denn immerhin ist da dieses Gefühl. Das Gefühl, dass wir etwas verloren haben, etwas, das so unglaublich wichtig, so unglaublich kostbar war.

Und vielleicht finden wir es ja irgendwann wieder. Auch wenn wir dazu noch Jahrzehnte lang im Kreis schwimmen müssen.

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